Peter Herrmann/Mehmet Okyayuz[1]/[2]
Was machen wir mit der Revolution – und was lassen wir die Revolution mit uns machen?
Der Titel des folgenden Beitrages ist eine Anspielung auf das Motto der diesjährigen Sommerakademie von attac – dort soll es um ‚1918 – 1968 – 2018: für Veränderung – Wo bleibt die Revolution’ gehen. Aber in dem hier vorlegten Beitrag geht es um eine Auseinandersetzung für den Kampf ums gute Leben, zu dem am 23.12.’18 in der TAZ von Ulrich Brand aufgefordert wurde. Unseres Erachtens knüpft Brand insofern an jenes SOAK-Motto an, als er richtig darauf hinweist, dass eine solche Revolution bereits im Ansatz stattfindet, irreführend ist aus unserer Sicht aber, diese als eine Revolution zu klassifizieren, die aus der Lebensweise kommt und von dort weiter getrieben werden soll. Es geht in diesem Bild um eine anti-imperiale Lebensweise gleichsam als neu-Kantianische Realität eines kategorischen Imperativ: Vernünftige aller Länder, vereinigt euch. Anstatt eine ökonomische Analyse des globalen Neoliberalismus als Bezugspunkt zu nehmen und daraus abgeleitet konkrete Überlegungen zum Kampf ums gute Leben vorzustellen, konzentriert sich Brandt auf Einstellungs- und Verhaltensmuster, die dann fast wie von selbst zum guten Leben führen sollen.
Der Weg zum guten Leben hat dabei zugegebenermaßen natürlich auch mit Mustern des täglichen Verhaltens zu tun; die aufgezeigten Alternativen münden in dem Text von Brand – und ebenso in dem Buch, welches er mit Markus Wissen vorgelegt hat, allerdings in eine diffuse und individuelle, vom ‚freien Willen‘ geleiteten, Negativhaltung. Dies kann man wohl am treffendsten mit Konsumverweigerung umschreiben: Folglich soll man sich keine SUVs mehr kaufen, nicht zuviel Fleisch essen, möglichst nicht fliegen, oder dies doch zumindest begrenzen. Die Liste kann fortgeführt werden, und all dies klingt ja auch lobenswert. Aber hat nicht schon Adorno in seiner Minima Moralia festgestellt, dass kein richtiges Leben im Falschen möglich sei. Es mag sein, dass diese Feststellung – bewusst – plakativ daherkommt; ihren Grundgehalt sollte man aber – so meinen wir – dahingehend konstruktiv verändern, dass man strukturelle Vorbedingungen, die zu einem guten/besseren Leben führen könnten, auf einer analytischen Betrachtungsweise erarbeitet – und das gilt gerade, wenn eine Leserschaft wie die der TAZ angesprochen wird. Anderenfalls läuft man Gefahr, dass Wunschbilder konstruiert werden, die bestenfalls das Gewissen zu beruhigen in der Lage sein werden. Genauso, wie die imperiale Lebensweise spätestens seit Beginn der 1990’er Jahre auf subjektivistische Weise produziert, reproduziert und legitimiert wird, so wird hier der antithetisch daherkommende Gegenentwurf auf die gleiche Weise konstruiert.
Diese Vorgehensweise, die – analog zu Lawrence Harrisons ‘liberalem’ Ansatz, dass Unterentwicklung quasi das Resultat einer ‘Geisteshaltung’ sei (siehe Harrison, L.E., 1985: Underdevelopment is a State of Mind. The Latin American Case; Lanham: Madison Books), wird hier in dem Sinn modifiziert, dass der Ausbruch aus der imperialen Lebensweise bzw. aus der globalen Unterentwicklung ebenfalls das Resultat einer Geisteshaltung der Verweigerung sein könne.
In der Tat, ‚es ist aber nicht nur das individuelle Handeln, das diese alles andere als solidarische oder nachhaltige Lebensweise am Laufen hält. Es sind auch machtvolle Produktionsstrukturen, die in der kapitalistischen Konkurrenz Handys, Autos und Nahrungsmittel produzieren, Profite und Wachstum generieren.’ Eine solche Feststellung ist aber nur dann in kritischem Sinne ‚komplett‘, wenn auch Forderungen nach klaren Regulierungen und Verteilungsstrukturen, aber mehr noch nach klaren Strukturen für die Produktion und deren Organisation damit einhergehen: So etwa die Forderung, dass die Existenz von Genossenschaften nach Unternehmens- und Steuerrecht abgesichert werden muss; Anerkennung dessen, was wir produzieren, neben den Gütern die diversen Schäden, aber ebenso das diverse Gute, dass allerdings schon bald den Charakter des Guten verliert, wenn es dann in Bilanzen und neue Buchführungstechniken gezwängt wird … – Im extremen Fehlgriff geht es dann beim ‚pricing of everything’ (George Monbiot) um sogenanntes Grünes Wachstum. Auch das ist durchaus konkret, wenngleich mühselig. Nicht zuletzt geht es auch hier um kleine Schritte und das ‚Kehren vor der eigenen Tür’ – etwa sich für dem Ausbau des OePNV und der Radwegnetze einzusetzen, anstatt sich auf die gefährliche ‚Nutzerbahn’ zu begeben; etwa gilt es, die Überfüllung der Laden-Korridore anzuprangern anstatt sich mit Trolley und Kind den Gefahren der Verführung und Verletzung auszusetzen. Freilich sind auch dies Binsenwahrheiten und werden wohl kaum als Kritik an der Imperialen Lebensweise angesehen werden. Der Unterschied aber ist ein gewaltiger – und nun muss ein wenig Theorie her, denn sonst bleibt es doch leicht dabei, dass ‚eine besserwisserische „Ökoelite“ […] der Gesellschaft vorschreiben [wolle], wie sie zu leben habe, damit Klimawandel und andere Umweltprobleme eingedämmt werden.’
In der Gegenüberstellung – und im Eingeständnis der Gefahren durch Verkürzung – sind aber doch folgende Punkte leicht als Ansatz für die konkrete, also machbare Utopie zu erkennen.

Erstens, Brand geht von der Kritik der Lebensweise aus und sieht dann ‚auch machtvolle Produktionsstrukturen’. Dagegen steht unserer Auffassung – stark geprägt durch die französische Regulationsschule – als Viergespann: [a] entscheidend das Akkumulations-Regime in einem weiten Sinn als System der Definition dessen, was ‚Wert hat’ und die entsprechende Strukturierung der Wertschöpfung; [b] das Lebensregime als Rahmen oder ‚Setzkasten’, innerhalb derer Individuen Lebensentwürfe planen können – sehr verschieden, aber doch begrenzt durch Eckpfeiler wie etwa Erwerbsarbeitsverpflichtung, zunehmend private soziale Sicherung [man beachte dieses Oxymoron der Privatheit des Sozialen] u.v.m.; [c] die Regulierungsweise, allgemein als nicht zuletzt ideologisches und formales System, welches die Umsetzung der beiden genannten Regime sicherstellt. Und auch hier gibt es ein Pendant, namentlich [d] die Lebensweise – hier geht es darum, was denn jeder Einzelne wirklich aus dem Leben macht – unter Berücksichtigung des Kleingedruckten oder bei Beachtung des Grundsatzes ‚Es gelten die allgemeinen Geschäftsbedingungen’.
Mit diesem Rahmen lässt sich nun genauer bestimmen, wo wir stehen – und wogegen wir systematisch angehen müssen: es ist der methodologische Nationalismus und der methodologische Individualismus – dies geht weiter als einfach Nationalismus und Individualismus, denn es geht um die Wurzeln dieser Erscheinungen, ohne die eben auch eine linke Kritik schnell an die Grenzen stößt. Mit dem Viergespann lässt sich auch schnell ein wenig systematischer der Entwicklungspfad ausleuchten und auf die Perspektiven des ‚Nicht Weiter So’ eingehen – fünf Kernbereiche sollen genannt werden. Dabei geht es auch ganz bewusst um eine Ablösung der Keynes-Beverdige-Orientierung an den fünf großen Übeln: Gier, Krankheit, Unwissenheit, Elend und Faulheit.[3] Auch wenn sich viele Herausforderungen immer noch hierum drehen [müssen], so soll hier von fünf Spannungen gesprochen werden:
- Die Überproduktion von Gütern schlägt – global und lokal – in eine Produktion von ganz konkreten, fassbaren Belastungen um
- Enormer gesellschaftlicher Reichtum paart sich mit extrem-ungleichen Zugangschancen
- Reichhaltigkeit des Wissens wird durch eine Orientierung auf Fähigkeiten zurechtgestutzt
- gerade aus der Individualisierung von Problemlagen erwachsen gesellschaftliche Probleme
- die Komplexität von Regierungsprozessen mündet in der Regierungsunfähigkeit von ‚governance’, die in Deutschland teils als Methode Merkel des Allen-Recht-Machen-Wollens kritisiert wird.[4]
– Nun bleibt – zugegebenermaßen ein wenig bissig – die Bemerkung anzufügen, dass auch die Diskussion um die anti-imperiale Lebensweise, die ja bei Brand mitgeführt wurde, etwas von jenem o.g, Oxymoron der Privatheit des Sozialen hat – und leider ist das ist etwas anderes und vielleicht gar Gegensätzliches zur Losung, dass das Private Politisch sei.
Klar, der Kommunismus ‚ist das einfache, was so schwer zu machen ist’ – so legte Brecht es der Palagea Wlassowa, Der Mutter, in den Mund. Und so ist es mit jeder Art des besseren Lebens. Allemal, angemessener als die hier kritisierten, seinerzeit als Weihnachts- und Neujahrswünsche vorgetragenen Gedanken seien dann hier einige Anregungen und ‚Wünsche’ genannt:
- Bewusstes Leben – als Anerkennung und Beurteilung bereits erzielter Erfolge anstelle fortwährender Neuberechnungen von Bekanntem [19.7 % Armuts- und Ausgrenzungs-Betroffene in Deutschland[5] sind zuviel – aber auch 15 % waren schon zuviel.
- Als Teil dessen Betonung bestehender Möglichkeiten, die sich bei öffentlicher Nutzung der ja auch öffentlichen Güter ergeben – etwa mehr Datenzugang für alle als Schutz einer künstlichen Privatsphäre.
- Gelebte Gleichheit und Offenheit anstatt Schließung der verschiedenen, auch linker Gruppen, um Konsens zu sichern
- offene und ehrliche Dispute und Streitkultur gegen die eigene konsens-belastende Schein-Friedenskultur
Sicher, so ist es nicht gemeint – gleichwohl der Kampf ums gute Leben, wie er von uns kritisiert wird, kann fast dazu verleiten, Bill Gates, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Kumpane als Mitkämpfer anzusehen. Sie leben ja bereits in einer solchen Vernunftwelt des Teilens und Gut-Tuns, freilich fern von Recht und fern vom Gedanken, anders und anderes zu produzieren. Selbst Umverteilung fürchten sie wohl weniger als ein Recht, dass sie schon zur Ordnung ruft, wenn sie das Umzuverteilende unter knechtenden Bedingungen produzieren lassen – im Rahmen eben einer Akkumulationsweise, die uns bis in die letzten Fasern unserer Lebensweise zügelt. Gerade so macht sie solche zu nicht viel mehr als zu wohlmeinenden, und sicher nicht ganz wertlosen, Individual- und Klein-Schichten bezogenen Bemühungen. Im Führungszeugnis einer solche ‚Revolution’ wird dann stehen müssen, dass sie stets bemüht war das Ziel zu erreichen – jede[r], der Formulierungen von solchen Dokumenten kennt, weiß was tatsächlich gemeint ist: Bemühungen ein Ziel zu erreichen, bedeutet nicht, es tatsächlich zu tun.
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[1] Sozialphilosoph; UEF, Finnland; Corvinus Universität Ungarn; EURISPES, Italien; gegenwärtig Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik [Sozialrecht], München
[2] Sozialwissenschaftler; Middle East Technical University, Ankara
[3] Im Original want, disease, ignorance, squalor and idleness
[4] diese fünf Spannungen sind erstmals angesprochen in Herrmann, Peter, 2016: From 5 giant evils to 5 giant tensions – the current crisis of capitalism as seedbed for its overturn – or: How Many Gigabyte has a Horse?; Seminar ‘Continuidad y Cambios en las Relaciones Internacionales’ at ISRI (Instituto Superior de Relaciones Internacionales Raúl Roas García), Havana; Growth and Development – Complement or Contradiction? Challenges for a Global Agenda; Shanghai Forum, China and Latin America. The Development Partnership of Trans-Pacific-Section
[5] https://de.statista.com/themen/120/armut-in-deutschland/; 31/12/17
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